Stehen Sie aufrecht!
Interview mit Ariane Willikonsky von Monika Höna, Südwestpresse April 2018
Vor Publikum reden ist nicht jedermanns Sache. Trotzdem kommen manche Menschen nicht daran vorbei. Wer unsicher ist, kann sich an Ariane Willikonsky wenden. Sie weiß, wie man Stimme und Auftreten optimieren kann.
Wer nimmt Ihre Dienste in Anspruch?
ARIANE WILLIKONSKY: Hauptsächlich arbeite ich mit Menschen, die aus verschiedenen Gründen vor Publikum reden oder Gespräche – manchmal sehr heikle – führen müssen, also Politiker, Schauspieler und Leute, deren Beruf viel Präsentieren, Vortragen und Verhandeln mit sich bringt.
Worum geht es dabei?
Die Menschen, die ich auf ihre Auftritte vorbereite, wissen in der Regel, was sie sagen wollen. Darin sind sie auch sehr gut. Ich helfe ihnen beim Wie, also die Dinge so zu sagen, dass es bei ihrem Publikum ankommt und angenommen wird. Da geht es um Körpersprache, um Stimme, um deutliches Sprechen. Und darum, die Dinge auf den Punkt zu bringen, ohne endlose Schachtelsätze zu bilden. Eine sehr schöne Tätigkeit, weil ich mit Menschen arbeite, die viel und vor allem viel Spannendes zu sagen haben.
Zu Ihren prominenten Kunden gehört auch Winfried Kretschmann. Sie wollen ihm aber nicht etwa sein Schwäbisch abtrainieren, oder?
Nein, Politiker sind eher stolz auf ihren Dialekt. Sie wollen ja zeigen, dass sie einer von uns sind, da ist die regionale Färbung ein ganz wichtiges Element. Das konnte man an seiner jüngsten Neujahrsansprache sehen, in der er das Thema Heimat aufgegriffen hat. Das liegt ihm sehr am Herzen. Wenn ich mit Menschen arbeite, die akzentfreies Hochdeutsch lernen wollen, brauchen die das normalerweise für ihren Beruf. Politiker gehören allenfalls dann dazu, wenn sie nur noch in Berlin sind.
Wofür benötigt Winfried Kretschmann dann Ihre Hilfe?
Er hat eine angegriffene Stimme, immer schon, aber sie passt sehr gut zu ihm. Er ist ja ein sehr ruhiger, reflektierter, besonnener Mensch und hat etwas ausgesprochen Landesväterliches, was auch in seiner Stimme zum Ausdruck kommt. Ich helfe ihm, diese zu trainieren. Das heißt, wir bereiten wichtige Reden stimmlich noch etwas vor, wenn er zum Beispiel besonders laut reden muss.
Auch Vincent Klink, der prominente Koch, wird von Ihnen betreut. Wo braucht der Unterstützung?
Er hat einmal eine CD gemacht, auf die er sich vorbereiten wollte. Dafür hat er eigene Gedichte geschrieben, die auch vertont wurden. Das sind wir gemeinsam durchgegangen.
Wenden sich auch Leute an Sie, die ihren Dialekt loswerden wollen? Ist es überhaupt wichtig, Hochdeutsch zu können?
Danach werde ich oft gefragt, obwohl das absolut kein Kernthema meiner Arbeit ist. Niemand sollte seinen Dialekt loswerden wollen, aber jeder Mensch kommt hin und wieder in eine Situation, in der er sich wohlfühlt, wenn er auch Hochdeutsch kann. Mir ist jedenfalls noch keiner begegnet, der das abgestritten hat. Wer in einem hochdeutschen Umfeld unterwegs ist, fühlt sich besser, wenn er es ebenfalls kann. Das heißt ja nicht, dass man in seiner Heimatregion nicht wieder Dialekt sprechen kann. Umgekehrt ist es übrigens genauso. Eine Freundin von mir, die beim SWR arbeitet, aber kein Schwäbisch kann, sagt, dass Sie manchmal sehr froh wäre, wenn sie es könnte. Angenommen, sie will einen Bauern zur Kartoffelernte befragen, ist der Mann bestimmt viel offener, wenn er in seinem vertrauten Dialekt angesprochen wird. Ich denke, Menschen mögen es gern, wenn man sich sprachlich auf sie einstellen kann.
Ist gutes Sprechen wichtig für die Karriere?
Das halte ich sogar für den Schlüssel. Mein Herzensthema sind die Stimmen der Frauen, ein total unterschätztes Phänomen in Bezug auf die Karriere. Frauen sprechen viel zu oft in einer hohen Tonlage und können deshalb das Gesagte nicht mit der nötigen Überzeugungskraft rüberbringen. Sie treten in der Regel adrett gekleidet und frisiert auf, bereiten auch gut vor, was sie sagen, achten aber nicht darauf, wie ihre Stimme klingt. In dem Punkt könnte man mit relativ wenig Aufwand sehr viel erreichen. Die Stimme ist in Kombination mit der Körpersprache der entscheidende Faktor, um sympathisch, kompetent und glaubwürdig zu wirken. Nicht nur beruflich, sondern auch privat.
Sind Frauen unbegabter als Männer, wenn es ums Sprechen geht?
Im Grunde sind sie sprachlich sogar begabter, sensibler und können manches besser umsetzen. Aber gleichzeitig im Nachteil, weil wir die Glaubwürdigkeit eher einer tiefen Stimme zuordnen. Von der Sprechtechnik her haben sie es tatsächlich schwerer als Männer. Wenn sie das allerdings lernen, sind sie sogar besser als Männer.
Was bedeutet Sprechtechnik?
Das umfasst mehrere Dinge. Allein schon, sich gerade hinzustellen und groß zu machen. Die meisten Frauen neigen zu Bescheidenheit, lassen die Schultern hängen und legen den Kopf schief. Neben der aufrechten Haltung sollten sie aber auch darauf achten, kurz und prägnant zu formulieren. Beides ist wichtig, das Wie genauso wie das Was.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Stimme und Stimmung?
Auf jeden Fall. Wenn Sie mit jemand telefonieren, den Sie sehr gut kennen, ihre Mutter zum Beispiel, dann braucht die nur ihren Namen zu sagen und Sie wissen sofort, wie es ihr geht. Die Stimme ist das Barometer für die Stimmung. Doch das Spannende an der Stimme ist, dass man sie kontrollieren kann. Ein Schauspieler macht das ständig. Der stellt sich auf die Bühne und spielt einen souveränen Mann, selbst wenn privat gerade seine Oma gestorben ist. Auch die Körpersprache ist kontrollierbar. Ohne Kontrolle läuft das intuitiv. Körpersprache und Stimme machen das aus, was die anderen sehen und hören. Man kann innerlich noch so souverän sein – wer sich äußerlich anders präsentiert, wirkt nicht souverän. Und wenn man nicht lächelt, wirkt man nicht sympathisch, einerlei was für ein netter Kerl man im Grunde ist.
Also sind auch Körpersprache, Mimik und Gestik enorm wichtig?
Ja, im Grunde läuft das meiste über nonverbale Kommunikation. Gerade beim ersten Kontakt ist das definitiv wichtiger als das Gesagte. Da sind sich alle Sprach- und Kommunikationsforscher einig.
Viele Leute sind aufgeregt, wenn sie vor anderen sprechen sollen. Haben Sie einen Tipp, was gegen Lampenfieber hilft?
Das Allerwichtigste ist, zu erkennen, dass Lampenfieber etwas sehr Positives ist. Ich sage immer, der liebe Gott hat uns nichts geschenkt, was wir nicht brauchen. Lampenfieber ist Energie. Wir bekommen es immer in Situationen, die uns herausfordern. Um diese zu meistern, brauchen wir Energie. Unser Schauspieltrainer hat einmal gesagt: Wenn ein Schauspieler kein Lampenfieber mehr hat, sollte er runter von der Bühne. Dann hat er nicht mehr die Energie, die seinen Auftritt gut macht. Ein Redner ohne Lampenfieber findet sich selbst nur noch großartig – und das ist furchtbar.
Klingt einleuchtend. Aber was heißt das in der konkreten Situation?
Sich nicht vom Lampenfieber überrollen lassen, sondern es nutzen. Beim Reden ausatmen und wahrnehmen. Es hilft, bewusst lauter zu sprechen und gut zu stehen. Das Gewicht auf beide Beine verteilen und sich vorstellen, man trägt eine Medaille und eine Krone. Wenn ich weiß, dass ich vor Aufregung rote Flecken am Hals kriege, trage ich eben einen Schal oder ein Tuch. Wenn meine Hände zittern, darf ich kein Blatt Papier halten, sondern muss eine Moderationskarte in die Hand nehmen. Ich muss lernen, mit den Symptomen des Lampenfiebers umzugehen. Das Publikum mag Menschen mit Lampenfieber, weil sie merken, dass es denen wichtig ist. Selbst wenn die Stimme etwas zittert, macht das nichts aus.
In einem Gespräch reden mindestens zwei. Wie wichtig ist da das Zuhören?
Sehr, sehr wichtig. Für mich zählt Offenheit und die Bereitschaft, alles zu geben, was ich habe, und alles anzunehmen, was da kommt. Dazu ist aufmerksames Zuhören unerlässlich. Ein gutes Gespräch lässt sich zudem vorbereiten, indem man sich klarmacht, welche Kernaussagen man mitteilen will. Viele Menschen machen sich keine Gedanken, legen einfach los. Da muss dann der Gesprächspartner nach den Kernaussagen suchen. Wer von Anfang an eine klare Linie vorgibt und seine wichtigsten Punkte nennt, ist im Vorteil.
Und wenn es zum Streit kommt?
Sprache kann eine sehr scharfe Waffe sein. Der Schlüssel ist: Tief werden mit seiner Stimme. Bei Aufregung kippt die Stimme automatisch nach oben, man wirkt hysterisch und weniger glaubwürdig. Wenn einem etwas wirklich wichtig ist – und sonst sollte man ja gar nicht streiten -, empfiehlt es sich, seine Position mit dem sprichwörtlichen Brustton der Überzeugung zu vertreten.
Wie sollten Eltern mit ihren Kindern sprechen?
Möglichst liebevoll. Kinder müssen merken, dass Sprechen etwas Schönes ist. Wer seinem Kind immer nur Kommandos gibt, verdirbt ihm die Freude am Sprechen. Es gibt Eltern, von denen man nur hört „Zieh die Schuhe an“, „Mach dieses“, „Tu jenes“. Von dem, was ich gerne Qualitätskommunikation nenne, ist da nichts zu spüren. Wichtig ist das miteinander Sprechen – am Tisch, wo man gemeinsam isst und dabei plaudert, wenn man abends am Bett sitzt und Erlebnisse austauscht oder beim Vorlesen mal unterbricht und sich unterhält. Wer mindestens einmal am Tag so etwas einbaut, hat gute Chancen, ein sprachbegabtes Kind großzuziehen. Damit wären auch alle berufstätigen Mamas beruhigt, die oft fürchten, nicht genügend Zeit für ihre Kinder zu haben. Mit Qualität erreicht man in dem Punkt mehr als mit Quantität.
ZUR PERSON: Ariane Willikonsky (52) ist ausgebildete Sprecherzieherin und arbeitet als Kommunikationstrainerin. 2003 gründete sie das FON Institut für Sprache und Stimme in Stuttgart, wo sie mit ihrem Team Sprach- und Stimmtherapie sowie Rhetorik- und Hochdeutschkurse anbietet. 2016 wurde sie von der Rhetorik-Akademie in Tübingen als „Trainerin des Jahres“ ausgezeichnet. Sie ist verheiratet, hat drei erwachsene Kinder und bald drei Enkel.